laudatio

Laudatio, Galerie Wiedmann, November 2021

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Dajana Eisele, Herr Wiedmann und vor allem den Ausstellenden Tanja Orlob und Manfred Unterweger Undi+i.

Ich begrüße Sie ganz herzlich zur Ausstellung „Leaving the Frame“ in dieser speziellen und traditionsreichen Galerie im Herzen Bad Cannstatts.  Die Karte der Einladung zeigt eine Fotocollage mit einer bröckelnden Betonmauer, die das Format von links nach rechts unten fluchtend durchschneidet.

Das Motiv erinnert uns Frühgeborene an die Berliner Mauer: Achtung liebe Betrachterinnen: Leaving the frame. Sie verlassen den Sektor des einfachen Bildes. Wenn Sie hier diese Ausstellung besuchen, so verlassen Sie den Rahmen im bildnerisch konkreten, wie auch im übertragenen Sinne. Das trifft zunächst fürs Haus in vielerlei Hinsicht zu: Entgegen dem dematerialisierten dem Digitalisat zustrebenden White-Cube der internationalen Galerie sehen wir hier ein traditionsreiches lebendiges Haus, mit Ecken, Kanten und Geschichten in dem die Dielen knirschen und die Ecken überraschende Einblicke in spezielle Nischen erlauben. Aber auch die beiden Künstler des Abends verlassen stetig das Erwartbare, Naheliegende gezielt, was im Untertitel: „Materialbilder, Objekte, Installation und Performance“ durchaus schon sichtbar wird.

Zunächst möchte ich die Ausstellenden kurz vorstellen

Tatjana Orlob, studierte in Bonn und Basel Malerei, später Tanz mit darauffolgender Arbeit als Tänzerin und Choreographin sowie Gründerin des Tanzlabors Berlin. Auftritte und Kollaborationen führten sie in viele Länder. 2004 kehrte sie dann wieder zur Malerei zurück und hat seitdem in vielen Galerien bundesweit ausgestellt und auch einige Auszeichnungen bekommen. Ebensolange ist sie schon bereits Künstlerin der Galerie.

Manfred Unterweger (Jahrgang 1956) ist in Stuttgart geboren und hier auch als Kunsttäter bekannt, nicht zuletzt als Aktiver in diversen Kunstinstitutionen und Vereinen, wie der Oberwelt und Zero Art. Seit fast 30 Jahren arbeitet er als freier Künstler mit Ausstellungen im In- und Ausland. Seine Prägung kommt vom Konzeptuellen, Materiellen und auch Sozio-Politischen.

Vielleicht ist es ganz günstig, wenn Sie vor Begehen der Ausstellung hier einige Eindrücke auf sprachlicher Ebene mitnehmen, die den Blickwinkel darauf etwas öffnen. Auf der rechten Seite öffnen sich im Raum die vielfältigen Formate von Tatjana Orlob, sie zeigen sich mal klein, mal hoch, mal als Solitär, mal als Tandem. Es sind Werke der vergangenen zwei Jahre. Doch eines ist allen diesen Werken gemeinsam: Sie haben eine stille, aber präsente Materialität, man möchte sie direkt anfassen und mit den Fingern die Oberfläche studieren. Sie ziehen die Betrachter magisch an, weil sie auch eine eigenartige Sogwirkung entfalten, die einer angedeuteten Räumlichkeit entspringt. Da ist oft die Spirale, der Strudel oder die Tiefe von Gegenständen. Die erkennbaren Motive sind voller innerer archetypischer Symbolik, so sieht sie die Spirale als Zeichen für die Kontinuität von Entwicklungen in der Welt. Der Fluss der Formen wird begleitet von dichter linear geschlungener Graphitschrift, die blockweise in die Bilder geradezu eingestrickt ist. Text ist nicht lesbar, er wird zur Textur, zum Zeichengewebe von Schriftpoesie. Die Metaphorik aus der Lyrik selbst, z.B. Paul Celans bedeutender Todesfuge, fließen in diese Bilder mit ein, die Künstlerin sieht sich aufgrund der Nähe zum Schauspiel und Tanz davon stark inspiriert. Einfach einzusortieren sind die Werke nicht, handelt es sich um Zeichnung? Handelt es sich um Malerei? Ist es abstrakt oder gegenständlich? Die Bilder sind angereichert mit Materialien, die über eine normale Malfarbigkeit hinausgehen – auch hier leaving the frame – sie wirken wie performativ im Prozess gewachsen, in Schichten hinein erodiert. Die Kompositionen sind einprägsam und sensibel austariert. Weißanteil und Graufläche stehen in feiner Ausgewichtung, auch die Bauchigkeiten und Oberflächenbewegungen zeigen wiederum Linien und Flächengestaltung auf. Sie nehmen gefangen mit ihrer gleisenden, hellen Präsenz. Die wohlgewählte Farbe findet nicht grellbunt statt, sondern als materielle Setzung im Format. Figur und Bewegung sind auch in den Motiven immer wieder sichtbar, sicher und bewusst platziert, teils auch wie handlungsanweisungen oder Partituren.

Tagespolitik interessiert die Künstlerin in den Bildern nicht, ihre Themen gehen einen Schritt von der Lautstärke der Schlagzeilen zurück und sehen das Leben, Erleben, Prozesse, Existenzformierungen und -formulierungen von außen.

Politik interessiert wiederum Undi, der gegenüber auf der linken Hausseite seine Werke zeigt sehr. Er ist ein Homo Politicus, jemand der die Welt aufmerksam beobachtet und den Menschen in seinen Abgründen und Getriebenheiten wahrnimmt und an absurden Fehlgriffen im Zusammenleben leidet. In seiner Kunst findet er Gelegenheit zur Klärung der Angelegenheiten und setzt so spannungsvolle Gegenbilder. Es finden ihn die Themen, z.B. bei Reisen in USA die starken Widersprüche in Anspruch und Leben, zwischen Religiosität und Skrupellosigkeit, zwischen unbegrenzter Möglichkeit und grenzenloser Härte. Auch auf die andere Seite der Welt schaut er: nach China, das in seinen Widersprüchen nicht weniger Anlässe für Kunstäußerungen liefert. So entstand ein Zyklus zu aus politischen Gründen zu Gefängnis oder gar Tod verurteilten Chinesen. Der gefiederte Lautsprecher auf der Schaukel, darunter Patronen und Reis auf dem Boden verstreut, alles in einem antiken Käfig: Diese sinnbildliche Installation zeigt vielfältige ikonographische Verweise. Wie bei seiner Künstlerkollegin sehen wir hier keinen klassischen Maler, auch keinen klassischen Bildhauer. Jedes Werk folgt einer eigenen Gestaltungsidee und einer inneren mit dem Thema eng verflochtenen Logik. Ein forschender Materialprozess geht damit einher. Der Künstler verwendet nicht „einfach Farbe“, weil die Anmutung und Präsentation eine eigene Stimmigkeit benötigt. Er findet eine eigene allegorische Bildsprache, für Werke mit Aussage und Fragestellung, denn er geht in Serien inhaltlicher Ausrichtung vor, bis das Thema ihn wieder freilässt. Zuweilen gibt es dennoch kleine surreale Effekte in der Begegnung von Materialien: Holz, Leder, Metall und erdigen Massen, die es zusammenbinden. Oder zwischen Metall und menschlichem Haar. Die Alltäglichkeit dessen, was man täglich sieht und spürt, ist auf der Bildebene überraschend und anrührend. Zumal es - fragen Sie den Künstler - immer wieder tiefgreifende Geschichten hinter dem Material gibt, welche das Werk zusätzlich mit Bedeutung aufladen.

Obwohl beide Künstler sehr eigenständige Positionierungen vertreten zeigt die Ausstellung nun auch, dass sie in ihrer Unterschiedlichkeit gut zusammen funktionieren, in der jeweiligen Tiefe, in der Verbindung zu Erde, Material und dem Interesse am Menschen und nicht zuletzt über die gegenseitige Schätzung. Wenn Sie gut hinsehen, dann verfolgt Sie ein Motiv auch quer durch beide Werke, der Rächen, mit dem man seine Gedankenfetzen wie im Herbst die Blätter ordentlich zusammenrächen darf, um der Erde drunter fürs Wachsen neuer Möglichkeiten den Raum zu geben.

Schließen möchte ich mit einem Gedicht der berühmten surrealistischen Künstlerin Meret Oppenheim, die mit ihrer Pelztasse, die Sie möglicherweise kennen, ein Objektkunstwerk psychologischer Tiefe realisiert hat, das bis in die heutige Ausstellung ausstrahlt. 

Am Anfang ist das Ende

Der Vulkan überhäuft uns mit Geschenken

Wie traurig waren wir

Der Himmel tropft auf die Teller

Das Gras sinkt herab mit Tau bedeckt

Helleluja Schabernack und kein Ende

Die Schelmen blasen die Schelmei

Zaghaft liegen die Wasserrosen und schlagen

Die Augen auf und zu

Die Reusen sind leer

Der schwarze Sack ist voll

Was dem Apfel die Kerne sind der Erde die Ameisen

Kein Geräusch ist hörbar nur die Mondsichel steht am Himmel

Das Feuerwerk knallt und die Nacht ist paillettenübersät.

(Meret Oppenheim, Gedichte, edition suhrkamp, 1984, S. 85)

von Wolfgang Neumann
                      Laudatio 2015


          Laudatio 2014 Vernissage Schloß Plaue


      Laudatio 2013 Vernissage Kunsthalle Brennabor


         Laudatio 2007 Vernissage Deutsche Bank